Beispiel II: Wilhelm Tell trifft DSA (ohne Storymodus)

Kleiner Hinweis zu Beginn

Ich gehe davon aus, dass ihr, die Leser, euch ein wenig mit Rollenspielen auf dem Computer oder auch mit Papier und Bleistift auskennt. Das alles lasse ich nämlich weg, da es sonst den Rahmen sprengen würde, wenn ich alles grundlegend erklären müsste. Aber ich nehme es mal stark an, denn sonst würdet ihr euch nicht auf einem Gamification-Blog herumtreiben.
An manchen Stellen musste ich aber dennoch ein wenig ins Detail gehen. Von daher hoffe ich, dass es trotzdem verständlich genug zu lesen ist. Außerdem haben wir uns auch mit dem klassischen Unterrichtsstoff zu Tell beschäftigt (Dramenaufbau, Szenenanalyse, historische Hintergründe usw.), aber das habe ich alles ausgelassen, um mich auf den Zugang auf das Stück über die Rollenspielelemente zu konzentrieren.

Wie es dazu kam

Gegen Ende des Schuljahres von 2018 traf meine Klasse 8b auf Wilhelm Tell. Ich unterrichtete Tell zum letzten Mal 2010. Da mir wie auch bei anderen Klassikern die eher negative Reaktion der Schüler im Gedächtnis geblieben war, wollte ich in jenem Schuljahr etwas völlig Neues ausprobieren, die Schüler an solch ein Drama heranzuführen. Dabei spielen drei wichtige grundlegende Säulen eine große Rolle bei dem Vorhaben: Classcraft, Das Schwarze Auge und die Tatsache, dass ich, wie die treuen Leser und Follower zwischenzeitlich wissen, seit 1996 ununterbrochen als Spielleiter in verschiedenen Rollenspielsystemen unterwegs bin: DSA war der Einstieg in die Welt der Rollenspiele für meinen damaligen Freundeskreis und mich, dann ging es weiter zu CYBERPUNK 2020, Earthdawn und Shadowrun. Classcraft kennt ihr ja zwischenzeitlich. Über “Das Schwarze Auge” will ich noch ein paar kurze Worte verlieren:

Was ist “Das Schwarze Auge”?

Das berühmteste deutsche Rollenspielsystem! Erfunden von einem Lehrer, Ulrich Kiesow, und seinen Freunden Anfang der 1980er Jahre als Gegenentwurf zu Dungeons&Dragons. Seitdem hat es sich in Deutschland durch die 1990er hindurch zum größten und wichtigsten Rollenspiel in Deutschland entwickelt, bis ab den 2000ern mehr und mehr Systeme aus anderen Ländern nach Deutschland kamen. Um DSA spielen zu können, braucht man 3-7 gute Freunde und einen Spielleiter. Dieser denkt sich entweder Abenteuer aus oder bereitet vorgefertigte Abenteuer vor, die man käuflich erwerben kann.Er schickt seine Spieler, die Elfen, Zwerge, Krieger, Magier, Ritter, Amazonen, Diebe usw. sein können, auf eine spannende Reise voller Gefahren, Kämpfe, Rätsel usw. Bei Bestehen bekommen die Spieler Erfahrungspunkte, mit denen ihre Charaktere Stufen aufsteigen und ihre Fähigkeiten (Schleichen, Reiten, Kämpfen usw.) verbessern können.

Tell Reloaded

Da saß ich als zu den Unterrichtsvorbereitungen zu Tell und dachte mir: Das muss doch auch anders gehen, damit die Schüler mit Spaß und Neugier an das Drama herangehen. Classcraft hatte sich bisher in der Klasse mehr als bewährt, so wie immer eigentlich. Auch der Motivationsschub war gegen Ende des Schuljahres noch immer ungebrochen, aber ganz ehrlich, sobald die Schüler „Schiller“ und „Tell“ hören, verdrehen sie erstmal die Augen.
Eines Nachts am Schreibtisch bereitete ich die erste Szene von Tell vor: Ich las sie durch und mitten drin traf mich der Blitz! Die Szene liest sich wie eine Szene am Rollenspieltisch! Könnte ich Rollenspiele als Portal für die Schüler nutzen, damit sie einen guten Zugang zu dem Drama finden? Ich beschloss, Tell mit „Das Schwarze Auge“ zu kombinieren.

Vorüberlegungen

Damit das alles klappte, mussten die Schüler zunächst wissen, was ein richtiges Pen-and-Paper-Rollenspiel ist und wie das Regelwerk grundlegend funktioniert. Damit das nicht zu oberflächlich wurde, beschloss ich, die Schüler nicht nur die wichtigsten Regeln zur Charaktererschaffung zu lesen zu lassen, sondern auch anzuwenden. Ich würde ihnen auch ein paar Charakterklassen vorstellen, denn wir wollten auch herausfinden: Was für ein DSA-Charakter ist Tell eigentlich? Gibt es da einen passenden? Ist er Streuner? Seefahrer? Oder vielleicht sogar ein Magier?
Welchen Herausforderungen muss sich Tell stellen? Sind das sozusagen Quests? Also Aufgaben, wie man sie aus Rollenspielen kennt? Wie in World of Warcraft? Die Questtexte sind ja auch nur Zusammenfassungen und Aufgabenbeschreibungen… Damit müssten die Schüler etwas anfangen können!
Und das Beste: Sie würden ein Charakterblatt zu Tell erstellen müssen, mit dessen Hilfe sie ihn eben … charakterisieren. Perfekt!

Was im Unterricht geschah

Zu Beginn der Unterrichtseinheit habe ich den Schülern zuerst eine kurze PowerPoint-Präsentation gezeigt, was klassische P&P-Rollenspiele sind und wie DSA als Gegenreaktion zu Dungeons&Dragons zustande kam. Anschließend umriss ich kurz, was man für eine Rollenspielrunde braucht (sowohl an Material als auch Spielern) und wie ein Rollenspielabend aussieht.
Anschauungsmaterial hatte ich auch dabei: Eine Kiste voll mit DSA-Rollenspielkram, gefüllt mit drei Einsteigerboxen, zwei Magie-Boxen, zwei Forgteschrittenen-Boxen, ein paar Abenteuerbücher und jede Menge Karten und Würfel.

Für jeden Schüler hatte ich ein Charakterblatt aus dem Fortgeschrittenen-Regelwerk „Mit Mantel, Schwert und Zauberstab“ kopiert, weil ich vor allem die erweiterten Talenteliste zum Charakterisieren von Tell brauchte: Werte für Waffentalente (z.B. Äxte und Beile, Schwerter, Schusswaffen), gesellschaftliche Talente (z.B. Menschenkenntnis, Etikette, aus „Betören“ haben wir „Überreden“ gemacht, Lügen usw.), handwerkliche Talente (z.B. Boote fahren, Holzbearbeitung), Natur (Fährtensuche, Fallenstellen, Orientierung, Wettervorhersage usw.), intuitive Begabungen (Gefahreninstinkt, Sinnesschärfe usw.), körperliche Talente (Klettern, Reiten, Schleichen, Schwimmen usw.).

Außerdem bekamen sie vier Seiten aus dem Regelwerk über die Charaktererschaffung und mussten diese durchlesen und verstehen: Die sieben positiven Charaktereigenschaften einer jeden Figur (Mut, Klugheit, Intuition, Charisma, Fingerfertigkeit, Gewandtheit und Körperkraft) mit Werten zwischen 8 (schlecht) und max. 20 (unglaublich gut) sowie die sieben negativen Eigenschaften (Aberglaube, Höhenangst, Totenangst, Neugier, Goldgier, Raumangst und Jähzorn) zwischen 0 (nicht vorhanden) und 10 (stark ausgeprägt) sowie die Definitionen der Eigenschaften.

Ferner mussten sie dann verstehen, wie eine Talentprobe funktioniert. Eine Talentprobe wird dann verlangt, wenn ein Charakter beispielsweise erfolgreich irgendwo hochklettern will. Dieses Regelwissen war deshalb nötig, weil wir im Laufe der Unterrichtseinheit Szenen nachspielen und so herausfinden wollten, ob Tell gewisse Situationen mit Leichtigkeit (hoher Talentwert) oder nur mit größeren Schwierigkeiten (geringer Talentwert) oder sogar gar nicht (negativer Talentwert) bestehen konnte. Ich werde hier aber aus Platzgründen nicht genau auf die Regeln für Talentproben eingehen, da man nur so viel wissen muss: Ein Charakter, der völlig schlecht in einem Talent ist, hat einen Wert um -7 herum, wobei die Meisterschaft in einer Disziplin bei +18 liegt.

Normalerweise werden die Grundeigenschaften ausgewürfelt, die Werte der Talente werden bei Anfängercharakteren aus einer Tabelle entnommen und diese können nach Stufenaufstieg verbessert werden. Das führte uns bereits zu Beginn zu einer interessanten Frage: Ist Tell ein Anfängercharakter oder hat er bereits eine höhere Stufe?

Nachdem sich die Schüler durch die vier Seiten des Grundregelwerkes gearbeitet und wir Fragen geklärt hatten, wurde es Zeit für den nächsten Schritt: Die Schüler wurden in sieben Gruppen eingeteilt. Sie bekamen die Beschreibungen für die sieben Talentgruppen, die sie dann im Plenum vorstellen mussten. Viele Talente waren von Grund auf klar (Schwimmen, Reiten), aber was sind z.B. Etikette? Was ist Betören? Gassenwissen? Alchemie? Der Schritt war wichtig, weil wir im Laufe der Unterrichtseinheit von Tells Aktionen ausgehend Rückschlüsse auf die Qualität seiner Talente ziehen wollten.

Das Resultat der etwas anderen “Charakterisierung”. Ein Schüler hatte das Stück sogar auf eigene Faust zu Ende gelesen, nur damit er das Blatt vollständig ausfüllen konnte.
(Bild: Jurgeleit)
Die Rückseite des Charakterblattes mit den verschiedenen Talenten.
(Foto: Jurgeleit)
Foto: Jurgeleit

Nach diesen Präsentationen teilte ich die Schüler wieder in Gruppen ein und diesmal händigte ich ihnen sieben Klassenbeschreibungen aus. Wir wollten ja herausfinden, welcher Klasse Tell angehörte und nebenbei lernten sie auch die Ursprünge ihrer Classcraft-Charaktere kennen: Krieger, Heiler und Magier, aber auch Nivese (eine Art Nomade) Söldner und Streuner (ein diebisch angelegter Heldentypus). Dabei fiel uns auf, dass jede Klasse mit passenden Zitaten versehen war. So stehen beim Krieger als typische Zitate: „Mein treues Schwert und mein gutes Ross, was brauch ich mehr?“, oder „Bei unserer Herrin Rondra!“. Beim Magier: „Gewagt, gewagt, Eure These, Hochwürden! Habt ihr schon mal die Schriften von Sphagitos von Belthanaka in Betracht gezogen? Nein? Dachte ich mir…“, und beim Jäger: “Kopfschütteln” sowie „Kopfnicken“. Genau solche typischen Zitate von Tell („Die Axt im Haus erspart den Zimmermann“) wollten wir auch sammeln und zu seinem Charakterblatt hinzufügen.

Als letzter Schritt fiel noch ein Blick in die Abenteuerbücher an, weil ich deren Aufbau brauchte: Die alten Kaufabenteuer, die nur für die Augen des Spielleiters bestimmt sind, bestehen aus einer allgemeinen Zusammenfassung der Situation („Allgemeine Informationen“ genannt), aus „Speziellen Informationen (Informationen, die die Spieler nur bekommen, wenn sie sich z.B. umsehen oder mit anderen NSCs – NichtSpielerCharakteren- reden usw.) und Meisterinformationen (detaillierte Informationen in Zahlen, also z.B. Grund- und Talentwerte von NSCs, Lebenspunkte, aber auch ggf. Gesinnung, geheime Pläne usw.).


Daraus ergaben sich für den Unterricht folgende Dinge:  „Allgemeine Informationen“ waren für uns nun Zusammenfassungen einer Szene, „Spezielle Informationen“ und „Meisterinformationen“ waren für uns nun Kurz-Charakterisierungen für die Nebenfiguren, ihre Gesinnung gegenüber Tell, was sie im Schilde führten usw. Um den Schülern genauer zu verdeutlichen, worauf es ankam, zeigte ich ihnen etwas, das manche von ihnen viel eher kannten als ein DSA-Abenteuerbuch: Einen Screenshot einer Questbeschreibung von World of Warcraft. Diese ist ähnlich aufgeteilt und enthielt noch zusätzliche Aspekte: Ein allgemeiner Story-Text mit einer Zusammenfassung der Situation und einer Aufgabenstellung sowie einer Belohnung in Form von Erfahrungspunkten.

Exemplarisches Beispiel anhand der Szene I.I

Nachdem wir also wussten, die die grundlegenden Mechaniken von Eigenschafts- und Talentproben funktionierten, welche Klassen es gab und welche Informationen in einem Abenteuerbuch zu finden waren, gingen wir so gewappnet an die erste Szene heran.
Zuerst sollten die Schüler sich vorstellen, sie seien Questdesigner für ein Rollenspiel und müssten die erste Szene in eine „Allgemeine Information“ verpacken (also eine Zusammenfassung der Ausgangssituation für den Spielleiter schreiben) sowie eine passende Questbeschreibung für Szene I.I erarbeiten und in die Meisterinformationen die Gesinnung des Fischers aufschreiben. Und da war schon der erste Clou an der ganzen Geschichte, auf den sie selbst stießen und herausarbeiteten. Sie kamen darauf, dass Tell die eigentliche Quest, die sie ein Abenteuerbuch vorgeben würde, gar nicht schafft.

Einfacher Questtext für Tell:
Hilf Baumgarten beim Vierwaldstätter See. Er wird von Habsburgischen Söldnern verfolgt, weil er Wolfenschießen, den Burgvogt von Unterwalden, erschlagen hat. Du musst ihm helfen, indem du den Fischer überredest, Baumgarten über den See zu fahren, damit dieser in Sicherheit ist.

Questtexte kommen in jedem Rollenspiel vor, wie z.B. in World of Warcraft.
(Screenshot: Jurgeleit)

Was aber tatsächlich in der Szene passiert, wäre es eine Szene am Rollenspieltisch, ist:
Tell kann (zusammen mit den anderen) den Fischer nicht überreden, weil er einfach einen schlechten Wert in „Überreden“ zu haben scheint, andererseits hat der Fischer wohl auch einen hohen Wert auf „Wettervorhersage“, „Gefahreninstinkt“ und „Selbstbeherrschung“ und ist deshalb nicht zu überreden. Am Rollenspieltisch wäre Folgendes ausgespielt worden: Die Talentprobe für Tells „Überreden“-Wurf wird um mehrere Punkte erschwert. Hätte Tell beispielsweise einen Wert von nur +3 auf Überreden, hätte er vom Spielleiter einen Malus von 10 bekommen, weil der Fischer schwer zu überreden ist (Er hat einen Selbstbeherrschungswert von +10 und ist somit schwer zu beeindrucken, Stichwort „Meisterinformation“). D.h. Tell hatte in der Szene einen effektiven Überreden-Wert von -7, und damit konnte er das Überreden kaum schaffen.


Da zogen wir unseren ersten Rückschluss: Wir vermuteten, dass Tell es nicht so sehr mit gesellschaftlichen Talenten hat, also sich im Umgang mit Menschen schwertut. Aber um die Quest dennoch zu bestehen, entschließt er sich, trotz herannahenden Sturmes, Baumgerten selbst über den See zu schippern. Daraus leiteten wir dann weitere Schlussfolgerungen ab (und begannen somit, Tell zu charakterisieren). Er muss…
* einen hohen Mut-Wert haben, weil er sich traut, trotz des Sturms über den See zu fahren
* auch einen hohen Wert auf Intuition haben, weil er intuitiv zu handeln scheint. Hier entbrannte aber bereits eine Diskussion: Handelt er intuitiv oder unüberlegt?
* auch einen hohen Wert auf „Boote fahren“ haben, weil er es trotz des Sturmes schafft, unbeschadet über den See zu fahren àim Gegensatz zu gesellschaftlichen Talenten scheint er handwerklich einiges drauf zu haben und scheint auch sehr pragmatisch zu sein (Typisches Zitat: „Mit eitler Rede wird hier nichts geschafft“)
* aber laut eigener Aussage einen geringen Körperkraftwert haben: „In Gottes Namen denn! Gib her den Kahn, Ich will’s mit meiner schwachen Kraft versuchen“
* wohl einen guten Wert auf Armbrüste / Fernkampf haben, weil er solch eine Waffe mit sich führt, also muss er auch entsprechend mit ihr umgehen können.

Wir mussten uns den Originaltext also sehr genau ansehen, um auf seine Charakterwerte schließen zu können, auch wenn wir manche Werte im späteren Verlauf der Lektüre korrigieren mussten („Nun aber ist der Tell /Ein starker Mann und weiss ein Schiff zu steuern“)

Aus alldem ergab sich folgender Abenteuerbuch-Text:

Allgemeine Informationen:
Unser Held Tell streift durch den Wald am Vierwaldstätter See, als ein Sturm aufzieht. Er hört Stimmen und sieht nach, was am Ufer des Sees los ist. Geht er dort hin, trifft er auf eine kleine Gruppe von Männern.

Spezielle Informationen:
Bei den Männern handelt es sich um den Jäger Werni, den Hirten Kuoni, den Fischer Ruodi und Konrad Baumgarten, der auf der Flucht ist. Habsburgische Söldner verfolgen ihn, weil er Wolfenschießen, den Burgvogt von Unterwalden, erschlagen hat. Die Männer versuchen, den Fischer zu überreden, Baumgarten über den See in Sicherheit zu bringen. Tell sollte dabei helfen, den Fischer zu überreden.

Meisterinformationen:
Der Fischer Ruodi weiß, dass ein Unwetter droht (Wettervorhersage 13) und auch, dass es viel zu gefährlich ist, unter diesen Gegebenheiten über den See zu fahren (Gefahreninstinkt 13). Daher lässt sich auch durch Überredungsversuche kaum beeindrucken (Selbstbeherrschung 10). Sollte Tell den Fischer nicht überreden können, muss er sich etwas anderes einfallen lassen, wie er Baumgarten retten kann. Einen offenen Kampf kann er gegen die Habsburgischen Söldner nicht bestehen, das sollte ihm eine Probe auf „Klugheit“ oder auch seinen „Gefahreninstinkt“ sagen.
Wenn Tell die Quest schafft, bekommt er 150 Erfahrungspunkte.

Aus dem alten DSA-Regelwerk verwendete ich die typischen Sprüche eines Streuners (ganz oben) als Beispiel, um auch für Tell anhand seiner Dialoge typische Zitate für ihn zu finden. (Quelle: DSA 3- Basisregelwerk)

Im Verlauf der Unterrichtseinheit betrachteten wir dann immer wieder ausgesuchte Passagen des Stückes genauer, um Tells Charakterblatt weiter ausfüllen zu können. An einem Punkt wurde auch besprochen, welche Klasse Tell überhaupt hat: im Text wird zwar auch erwähnt, dass er Jäger ist, aber die Schüler kamen durch unsere Charakterisierungsmethode und die zuvor vorgestellten DSA-Klassen auch recht schnell auch drauf.


So kamen wir beispielsweise allein bei dem Zitat „Die Axt im Haus erspart den Zimmermann“ drauf, dass Tell ein guter Handwerker sein muss (Holzbearbeitung +9), mit Äxten und Beilen gut umgehen kann (Äxte und Beile +9) und man als Handwerker wohl auch sehr geschickt sein muss (Fingerfertigkeit auf 16). Wie bereits zuvor erwähnt, korrigierten wir seinen Körperkraftwert nach oben und dass er mutig ist, hatten wir in der ersten Szene bereits herausgefunden.


Spätestens kurz vor der Apfelschuss-Szene zahlten sich all die Arbeit aus und wir trieben unser Rollenspiel-Element auf die Spitze: Wir ermittelten Tells Fernkampf-Basiswert (Mut+Intuition+Fingerfertigkeit durch 4 etwas um 12 herum), hatten ihm zuvor bereits einen Talentwert für das Armbrustschießen zugewiesen (18), so dass wir im günstigsten Fall auf einen sehr meisterlichen Talentwert von 30 kamen.

Nun sollte Tell seinem Sohn auf eine große Distanz hin ein kleines Ziel vom Kopf schießen: den Apfel. Wegen der Distanz, der Nervosität (“Mir schwimmt es vor den Augen”) und der kleinen Größe des Zieles bekam Tell auf den Schuss einen Malus von 14. Das bedeutet, Tell musste auf einem 20-seitigen Würfel unter 16 würfeln, dann hätte er den Apfel getroffen (80%ige Chance). Bei unseren 15 Tells, den Schülern, trafen fast alle den Apfel, einer schoss daneben und einer würfelte einen Patzer aus und erschoss dabei den Sohn. Andere Schüler hatten Tell aber nicht als dermaßen heldenhaft bzw. meisterlich interpretiert und hatten auch dementsprechend niedrigere Werte. Sie kamen zu dem Schluss, dass Tell tatsächlich nur durch Glück den Apfel getroffen hatte und nichts Schlimmeres passiert ist.

(Foto:Jurgeleit)

Was hat das alles nun gebracht?

Die Schüler haben einen Überblick erhalten, wo Rollenspiele herkommen und wie stark deren Elemente in unserem Computerspielalltag verankert sind. Da jeder Schüler etwas damit anfangen konnte, taten sie sich mit dem Einstieg in die Lektüre über diese Brücke nicht nur viel leichter, sondern sie waren sehr motiviert, auf diese Weise an die Sache heranzugehen. Davon abgesehen hatte die Methode einen sehr großen Vorteil: das Charakterisieren, womit sich viele Schüler schwertun, ist bei Weitem nicht mehr so abstrakt, da sie allein durch das Charakterblatt sehr viel in die Hand bekommen, an dem sie sich entlanghangeln können und durch das Umwandeln von entsprechenden Textpassagen in ein Punktesystem und durch die anschließenden Diskussionen über den genauen Wert fiel es den Schülern insgesamt viel leichter, zu Ergebnissen und Erkenntnissen zu kommen.

Die Schüler setzten sich so automatisch – und auch oft, ohne dass sie es merkten – viel intensiver mit dem Stück auseinander, lasen es viel genauer und daraus ergaben sich sehr lebhafte Diskussionen, weil die Schüler die Berührungsängste dem Stück gegenüber verloren hatten und sehr tief in die Materie eingetaucht waren. Und ich habe für mich wieder die Bestätigung bekommen, dass man die Macht der Spiele viel häufiger im Unterricht einsetzen sollte.

Die Quest-Belohnung

Zum Abschluss spielten wir mit unserem Tell-Charakter noch ein sogenanntes „Solo-Abenteuer“. Vielleicht kennt ihr das von den alten White Wolf-Büchern: es gibt eine Beschreibung einer Situation, und wollt ihr dann nach links gehen, dann lest bei Abschnitt 72 weiter, geht ihr nach rechts, bei Abschnitt 23. Solche Bücher gibt es eben auch für DSA, die man alleine ohne Spielleiter und andere Mitstreiter spielen kann. Da konnte unser fertig charakterisierter Held dann zeigen, was er drauf hatte.

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