Profiguide I: NPCs und Rahmenhandlungen entwerfen

Die Vorüberlegungen

Anfang 2020 hatte ich beschlossen, das Storytelling auf die Spitze zu treiben und die Verzahnung mit dem Unterrichtsinhalt voll auszureizen. Zwischen dem rudimentären Storytelling wie in den vorherigen Guides beschrieben und diesem Extrem hier ist alles möglich, je nachdem, wie viel Zeit, Lust und Einfälle ihr habt. Vielleicht setzt ihr den Schwerpunkt komplett aufs Storytelling oder ihr baut mehr Gelegenheiten für Rollenspiel ein oder ihr überlegt euch einen ganz anderen Schwerpunkt, das ist alles euch und eurem Einfallsreichtum überlassen. Die Schüler werden es euch jedenfalls danken.

Die Illustration der Hauptstadt der Classcraft-Welt. Ich als alter “Das Schwarze Auge”-Spieler habe sie Gareth benannt.
(Screenshot: Jurgeleit)

Dass ich Themen an bestimmte Fantasy-Berufsgruppen oder auch -völker gekoppelt habe, reichte mir nicht für das, was ich vorhatte. Ich wollte, dass die Schüler auf ihren Abenteuern eine Orientierungsfigur haben, die sie wie ein Mentor begleitet und ihnen Neues beibringt. Aber da schien mir diese Figuren etwas zu eindimensional zu werden, weil sie einen Wegwerf-Charakter hatten. Man erlebte ein Abenteuer mit ihnen, dann traf man sie nie wieder? Irgendwie schade. Was, wenn die Figuren wiederkehrende Rollen wären, so eine Art Lernbegleiter innerhalb der Rahmenhandlung? Oder wenn man mit ihnen sogar Freundschaft schließen konnte?

Hier flossen nun meine Erfahrungen aus 25 Jahren Rollenspiel-Spielleiter ein: Ich wollte eine Reihe von Charakteren aus meiner Rollenspielwelt übertragen, die nicht nur mit einem bestimmten Thema verknüpft waren, sondern auch ihren fixen Platz in der neu erschaffenen Fantasywelt und ein komplexes Eigenleben hatten. Außerdem wollte ich auch, dass die Schüler ein „Zuhause“ haben sollten, einen sicheren Hafen, von wo aus sie ins Abenteuer aufbrechen und dann zurückkehren konnten.

Daraus wiederum resultierte die Idee, dass die Schüler sich eine Meisterfigur aussuchen dürften, mit dem sie auf die neue Abenteuerfahrt gehen wollten. Dabei verkörpert die Figur das neue Unterrichtsthema, was z.B. in ihrer äußerlichen Beschreibung angedeutet wird oder wenn sich die Figur in einer kleinen Rede den Schülern vorstellt. Ich überließ also den Schülern die Wahl, welches Thema aus dem Lehrplan sie als nächstes bestreiten wollten.

Das Resultat

Jetzt setzen wir all die Überlegungen, das World Building und das Storytelling von vorher zu einem Komplettpaket zusammen. Das sieht in meinem Fall so aus:

Mara wird für die Helden als Ankerfigur bei all ihren Abenteuern fungieren.
(Bild: Jurgeleit)

Als Einstiegsabenteuer wählte ich ein Grammatik-Thema: Satzbau und Satzteile. Also ein Thema für einen Magier als Mentorenfigur. Ich suchte mir eine meiner Charaktere aus meinen Rollenspieljahren aus, die diese Rolle bestens ausfüllen würde: Mara Stormgald, die gütige Schwarzmagierin. Jetzt wollte ich aber ein ganzes Figurenensemble haben, die bereits in einer Konstellation mit Konfliktpotenzial auftraten. Also machte ich aus Mara eine Mutter von Zwillingstöchtern. Somit hatte ich gleich drei weitere NPCs: Ihre Tochter Lynn, ebenfalls angehende Schwarzmagierin. Sie ist etwas älter als meine Schüler und etwas tollpatschig. Gleichzeitig hatte ich auch so ihre böse Zwillingsschwester Megrim, eine bärbeißige Meisterdiebin. Und auch den Vater, Remy, der Meister einer Diebesgilde. Megrim und Remy leben aber nicht mehr bei Mara und Lynn, weil sie sich zerstritten haben. Dieser Grundkonflikt liefert genug Material für interessante Geschichten und Handlungsbögen, die sich über weit mehr als nur eine Unterrichtseinheit und nur eine Questreihe erstrecken.

Nächste Idee: Mara ist ja nicht alleine. Sie hat noch Freunde aus ihren früheren Abenteuern: Da ist Rand Al‘Thor, der alte Krieger, Tarik von Tolo, ein uralter Waldelf und seine Frau Milailei, dann auch Yura Nebiru, eine junge, unerfahrene Diebin, gleichzeitig Lynns und Megrims beste Freundin. Noch mehr Konfliktpotenzial. Das sollte für dieses Schuljahr reichen und ich konnte alle Themen einem NPC zuordnen.

Mara übernimmt die Grammatik, Lynn die Rechtschreibung. Yura bekommt alles, was mit Krimis zu tun hat, Tarik die Gedichte. Rand übernimmt das Jugendbuch, das wir lesen wollten, „Die wilden Kerle“, aufgezogen in einer Art Retrospektive auf seine Kindheit. Für Remy hatte ich dieses Schuljahr noch keine Verwendung vorhergesehen, für Megrim hingegen etwas Spezielles. Das findet ihr bei den ausführlichen Beispielen aus dem Unterricht.
Nachdem ich die Figuren mit Charaktereigenschaften versehen und deren Konstellation ausgearbeitet hatte, konnte es mit den Abenteuern losgehen. Als Start wählte ich eine Stadt aus, in die es alle verschlägt, die das Abenteuer suchen: Gareth.

Einige meiner NPCs, von links nach rechts: Die immergrimme Meisterdiebin Megrim, ihre ungeschickte Zwillingsschwester Lynn und die unerfahrene Diebin Yura, die sowohl mit Lynn als auch mit Megrim befreundet ist.
(Bilder: Jurgeleit)

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