Profiguide II: Wie gamifiziere ich eine Unterrichtseinheit?

Da ihr euch wahrscheinlich schon durch die anderen Guides gelesen habt, ist euch aufgefallen, dass ich bisher nicht beschrieben habe, wie man eine Unterrichtseinheit gamifiziert Wie bringe ich das, was im Deutschbuch steht, in die Form eines Abenteuers, mit einem durchgehend roten Faden und einer Mentorenfigur, die die Helden begleitet?
Das beschreibe ich nun hier.
Man muss dazu wissen, dass die Rahmenhandlung dieses Abenteuer direkt an das Kennenlernabenteuer mit Mara anknüpft. Das hatte ich beim Schreiben bereits im Hinterkopf, damit die Mentorenfiguren ein wenig mehr Tiefgang bekommen. Mara wird die Helden per Schiff auf eine andere Insel zu einer ihrer Töchter schicken. Dort sollen sich die Helden am Hafen mit Megrim, einer Meisterdiebin, treffen. Megrim hat sich aber mit ihrer Mutter überworfen und wohnt schon länger nicht mehr bei ihr. Sie hält zu ihrem Vater, der der Anführer einer Diebesgilde ist und von Mara ebenfalls getrennt lebt. Das war die Grundidee für die Familienkonstellation. Sie ist wage genug, um nicht sofort konkret werden zu müssen, klingt aber für die Klasse schon spannend genug. Die Geschichte gestalte ich später aus, sobald ich weiß, in welche Richtung sich die Geschichte genau entwickeln soll. Außerdem kann es auch sein, dass die Klasse Einfluss auf die Story nimmt, indem sie mit den Figuren wie im Rollenspiel reden.

Schritt I: Vorausschauend planen

Nun aber zurück zum Eigentlichen. Ich beginne die Gamification damit, dass ich mir einen groben Überblick über das Thema verschaffe, in dem Fall Märchen. Ich lese alles, was ich daraus unterrichten will, damit ich eine Idee habe, welche Map aus Classcraft am ehesten infrage kommt und welche Locations ich auf der Map brauche. Später, wenn wir ins Detail gehen, zeige ich euch, wie man die Aufgabenstellungen gamifiziert.

Es wurde schnell klar: Ich brauche einen Ritualsplatz, wo ein Übergangsritus stattfinden sollte dann einen Wald, weil viele Märchen im Wald spielen. Da wird es auch kein Problem sein, mehrere Schlösser im Wald oder am Waldrand unterzubringen, denn mehrere der Märchen spielen direkt am königlichen Hofe. Das passt alles wunderbar in mein fantasylastiges Gamification-Setting. Ich brauche kaum etwas zurechtzubiegen, es findet glücklicherweise wie von selbst zueinander.
Ich brauchte also einen Wald. Solch eine Karte habe ich bei Classcraft tatsächlich! Zwar sind darauf keine Schlösser zu sehen, müssen es aber auch nicht. Die Schlösser werde ich im Storymodus präsentieren.

Da wir „im real life“ gerade eh Winter hatten, bot sich die Karte für die Questreihe an: Ein Hafen, mysteriöse Kreise in der Landschaft sowie ein dichter Wald… Perfekt! Das wird meine Abenteuerkarte! (Screenshot: Jurgeleit)
Die mürrische Megrim. Eine Sammelkarte des NPCs. (Bild: Jurgeleit)

Schritt II: Hintergrundgeschichte einbetten

Hier floss nun ein weiteres Element meines Gamification-Werkzeugkastens mit ein: Ich wollte, dass die Helden immer von einer Mentorenfigur begleitet werden. Diese sollte nicht nur in der Geschichte mit den Abenteurern mitlaufen, sondern noch viel mehr. Zum einen sollte die Figur auch einen Avatar in Classcraft haben. Sie war aber mindestens 10 Level höher als die Schüler, um einfach zu zeigen, dass dieser NPC schon sehr viel erfahrenen (und auch überlegener) war. Diesen NPC konnten sie immer ansprechen, wenn sie Hilfe brauchten. Manchen Schülern verlangte es weniger Überwindung ab, lieber mit dem NPC unter dem Schutzmantel der Gamification zu interagieren als mit mir, dem Lehrer.
Zum anderen hatten die Schüler auch die Möglichkeit, sich mit den NPCs durch gutes Rollenspiel anzufreunden. Dazu habe ich für jeden NPC eine „Sammelkarte“ erstellt. Gelingt es ihnen, Freundschaft zu schließen, kleben wir die Sammelkarte an unsere Klassenzimmerpinnwand. Die Abenteurer haben dann so die Möglichkeit, die NPCs auf weiteren Reisen zum Mitkommen zu bitten oder zu überreden. Die Figuren tauchen also immer wieder auf, wie alte Bekannte. Wie ich diese Karten erstellt habe und was die genauen Überlegungen dazu sind, werde ich noch in einem gesonderten Guide aufschreiben.

Jedenfalls sollten die Abenteurer eine neue Freundin kennenlernen, eine von Maras Zwillingstöchtern: die mürrische Meisterdiebin Megrim. Sie soll die Jünglinge als „Guide“ durch den Märchenwald begleiten und ihnen alle nötigen Dinge beibringen.

Zu diesem Zeitpunkt habe ich also alles Nötige zusammen: Die Lernziele, die einzelnen Texte, die Landkarte und Megrim als neuen NPC. Da ich als Rollenspiel-Spielleiter weiß, wie ich Rollenspielabende stimmig gestalte, habe ich sogar Musikuntermalung für die einzelnen Abenteuer ausgesucht. Manchmal ist es einfache Hintergrundmusik für Abenteuer in einer fantastischen Umgebung, manchmal passt die Musik zu einem bestimmten Märchen. So weit, so gut.

Die fertige Lernlandkarte. Jedes Märchen aus dem Deutschbuch ist eine „Station“ auf der Map. (Screenshot: Jurgeleit)

Schritt III: Ausgestaltung

Jetzt geht es um einen stimmungsvollen Einstieg. Wo würde man wohl jemanden wie Megrim finden? Bestimmt in einer miesen Spelunke.

Der Einstieg in die gamifizierte Unterrichtseinheit (Bild und Text: Jurgeleit)

Kommen wir zurück zur eigentlichen Planung. Was steht im Deutschbuch als Erstes an? Ein Quiz, bei dem ein Lösungswort herauskommen soll. Da schwebte mir bereits ein Bild im Kopf: Ein Wächter wird die Helden prüfen, ob sie überhaupt würdig sind, den Märchenwald betreten zu dürfen. Lösen sie das Quiz, dürfen sie passieren und tiefer in den Märchenwald vordringen.
So wurde also aus der Doppelseite im Deutschbuch (unten links) das erste Abenteuer (unten rechts).

Bei Jorinde und Joringel geht es um grundlegendes Charakterisieren. So sollen die Schüler die böse Erzmagierin charakterisieren. Hier bot es sich an, diese Erzmagierin mit Mara zu vergleichen. Die Klasse kannte Maras Charakter durch die vorangegangenen Abenteuer bereits recht gut, und sie liefert einen Kontrast zu den Charaktereigenschaften der Erzmagierin im Märchen. So würde es der Klasse also leichter fallen, weil sie einen Vergleich hatten. Megrim würde ich so verwenden, dass sie Jorinde und Joringel schlechtredet und die Abenteurer dagegen halten müssen.

Nach dieser ersten Quest kommen die Helden an ein Schloss mitten im Wald. Hier spielt das Märchen „Jorinde und Joringel“. In den Bildern seht ihr einmal die Aufgabenstellung aus dem Buch, daneben die gamifizierte Quest. Da meine Schüler die gutmütige Magierin Mara schon seit einigen Abenteuern kennen, ist es für sie auf diese Weise einfacher, die Zauberin in dem Märchen mit Mara zu vergleichen, weil sie durch die Figur der Mara… naja, eben einen Vergleich haben. Das hilft sehr.
Jorinde und Joringel wurden mit Megrims „Hilfe“ charakterisiert. Sie fand die beiden völlig nutzlos und weinerlich, aber die Klasse argumentierte dann ordentlich dagegen. So kamen wir auf deren Charaktereigenschaften: mit einer hitzigen Diskussion mit der bärbeißigen Megrim.


Eine weitere Idee, aus der ich etwas für Classcraft ableite, ist folgende, zusätzliche Aufgabe. Wenn die Schüler sie gut lösen, dann kann ihnen die Magierin Mara aus ihren Erkenntnissen Zauberspruchschriftrollen schreiben, die sie wiederum im gamifizierten Unterricht verwenden können. Es geht darum: Die böse Zauberin beherrscht mehrere Zaubersprüche. So verwandelt sie zum Beispiel ahnungslose Wanderer in Vögel oder lässt Leute erstarren. Mara möchte eine Liste von Beobachtungen der Zaubersprüche haben. Wie ist die Wirkung im Text beschrieben? Anschließend gab ich ihnen Schriftrollen mit richtigen Zaubersprüchen darauf, heißt ich habe die Beschreibung von Zaubersprüchen aus einer Spielehilfe für „Das Schwarze Auge“ kopiert aus der Kategorie „Verwandlung von Lebewesen“. Aber es waren auch unpassende Zaubersprüche dabei. Die mussten die Helden aussortieren und die richtigen Sprüche identifizieren.
Sie bekamen also heraus, dass die Sprüche der bösen Erzzauberin diese waren:

Adler, Wolf und Hammerhai – Damit verzaubert sie die Wanderer und sich selbst in Tiere und
Paralü-Paralein, starr wie Stein – Damit versetzt sie ihre Opfer in magische, steinähnliche Starre.

Dieses neuerworbene Wissen um magische Sprüche haben sie später Mara mitgebracht, und Mara konnte für die Klasse neue Zauberspruch-Schriftrollen damit herstellen, wie beispielsweise „Verfroschen“, das im Kampf gegen Mini-Bosse eingesetzt werden kann:

Solche Karten können einmalig eingesetzt und im Maras Item Shop wieder eingekauft werden. (Bild: Jurgeleit)

Das „Problem“ in unserer Story war: Die Erzzauberin passte sehr gut auf ihr Zauberbuch auf. Die Helden konnten es nicht einfach stehlen, dazu waren sie alle zu unerfahren. Megrim musste das Buch stehlen. Sie sagte den Helden zunächst nichts, sondern gab ihnen eine andere Aufgabe, die tatsächlich einer Aufgabe im Lehrbuch entsprach: Male die magische Blume anhand der Beschreibungen im Text.
Okay, ohne Gamification hätten wir hinterher viele schöne Blumen. Mit Gamification hat das Schülerprodukt einen ganz anderen Stellenwert: Wir kürten die schönste aller Blumen, und als die Helden zu Mara zurückkehrten, konnte Mara ihnen in ihrem Alchemielabor aus der Blume ein magisches Artefakt herstellen. Die Schülerin, die das Bild gemalt hatte, musste nun das Bild so lange bei sich behalten und darauf aufpassen, bis sie am Ende der Unterrichtseinheit Mara wiedersahen. Das konnte noch zwei oder drei Wochen dauern.

Jedenfalls malte die Klasse die Blumen fertig, wir kürten die schönste Blume und dann kam in der Geschichte Megrim wieder vor. Sie sagte: „Während ihr euch nutzlos im Märchen herumgetrieben habt, habe ich das Zauberbuch der alten Zauberin geklaut!“ Ich kam gar nicht dazu, weiter vorzulesen, denn in dem Moment sprang ein Schüler vom Platz auf, riss die Hände in die Luft und schrie aus Leibeskräften: „DIE IST SO GEIL!“
Im Laufe der Zeit traf die Klasse auf noch mehr NPCs, aber Megrim hatten sie am liebsten, weil sie immer bissig, mürrisch und ironisch war. Jetzt hatten die Schüler als in einem Märchen allein bereits viel erlebt. Sie hatten die Figuren charakterisiert, sie haben Zaubersprüche kennengelernt, das Zauberbuch gestohlen, um die Zaubersprüche für Mara zu identifizieren und sie haben auch die magische Blume, die später als Zutat für eine Schriftrolle dient.

Es ging weiter im Märchenwald: „Der Prinz mit den Eselsohren“. Wir kamen also bei einem anderen Schloss an und hörten uns dort um, soll heißen, wir lasen das Märchen Stück für Stück, bis zu einem entscheidenden Abschnitt. Denn da sah Megrim die Gelegenheit, an ein paar Goldmünzen zu kommen. Sie wollte den Prinzen erpressen, weil wir ja sein Geheimnis kannten: Er kam mit Eselsohren auf die Welt und versteckt diese sein Leben lang unter einer Kappe. Es entstand eine recht hitzige Diskussion mit Megrim, dass das überhaupt nicht rechtens sei, was sie da vorhatte. Die Klasse sammelte also jede Menge Gründe dagegen. Aber als der Prinz dann auch noch öffentlich zu seinen Ohren stand und sie deswegen verschwanden, war Megrim ziemlich sauer, da ihr fieser Plan nicht aufgegangen ist. Also versucht sie es anders, an Geld zu kommen.

Der Märchenmarktplatz

Auf dem Märchenmarktlatz schrieben die Schüler eigene Märchen, um sie dort Sammlern und Liebhabern zum Verkauf anzubieten.
(Bild: Jurgeleit)

Im Lehrbuch stand als Nächstes an, eigene Märchen zu schreiben. In unserem Storymodus setzte ich das so um: Megrim führte die Helden zu einem Märchenmarktplatz. Dort wurde tatsächlich mit Märchen gehandelt, und nicht nur das! Dort wurden vor Ort auch Einzelteile von Märchen verkauft und in Werkstätten zusammengebaut. Megrim kaufte also viele Einzelteile ein und gab den Jünglingen lauter Anleitungen und Versatzstücke (bedeutet, ich gab den Schülern eine Bildsequenz mit fanatischen Motiven als Grundlage): Die Helden sollten selber Märchen schreiben und diese wollte Megrim auf dem Markt verkaufen. Der Erlös sollte gerecht geteilt werden. Von wegen! Nachdem die Märchen geschrieben und auf dem Markt verkauft worden waren (soll heißen, wir haben die Schülerprodukte besprochen), kamen knapp 4000 Goldstücke zusammen. Megrim jedoch gab an die Klasse nur 3000 Gold weiter, was einigen, die sofort nachrechneten, gleich auffiel und sie Megrim zur Rede stellten. Sie konnten sie überzeugen, noch 300 Gold extra herauszurücken und auch, dass sie die übrigen 700 Goldstücke bei Rückkehr an ihre Mutter abgeben möge, weil Mara „total nett und einfach die Beste“ war. Also gab die mürrische Megrim nach.
Am Ende des Märchenwaldes und nach einer erholsamen Nacht in Maras Haus durften die Helden entscheiden, mit welchem NPC es ins nächste Abenteuer weitergehen sollte: Sie suchten sich so die nächste Unterrichtseinheit aus.

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